Artikel veröffentlicht in: Personalwirtschaft das Magazin für den Job HR
Der in diesen Tagen überdeutliche Ärztemangel hat systemische Ursachen – einerseits. Andererseits muss sich jeder HR-Verantwortliche fragen, ob die
eingesetzten Methoden wirklich der Zeit entsprechen.Und den Vorstellungen der Zielgruppe.
In der Corona-Krise zeigt sich die Überlastung des Systems Krankenhaus und insbesondere des Fachpersonals leider überdeutlich. Schon vorher liefen viele Häuser am Limit, suchten händeringend nach qualifizierten Kräften – im pflegerischen ebenso wie im ärztlichen Bereich.
Dass Oberarzt- und Chefarztstellen unbesetzt bleiben, obwohl HR-Abteilungen viel Geld für Stellenanzeigen, Headhunter, Jobportale und Employer Branding in die Hand nehmen, erscheint da wie ein Widerspruch. Viele Personalverantwortliche in Kliniken fragen sich: „Ich habe doch alles probiert, nichts hat nachhaltig
gefruchtet – was mache ich nur falsch?“ Haben Fach- und Oberärzte keine Lust mehr auf Karriere, sind Chefarztpositionen nicht mehr gefragt? Oder liegt es an der Art und Weise, wie derzeit Stellen ausgeschrieben und beworben werden?
Fakt ist: Ärztinnen und Ärzte sind anspruchsvoller geworden. Sie kennen ihren Wert. Sie wissen, dass sie gesucht werden. Sie wollen umworben werden. Und sie kennen ihre Optionen außerhalb der Kliniken und der deutschen Grenzen.
Und: Sie haben eine hohe digitale Affinität. Die digitale Welt schafft Transparenz, und die Besten nutzen diese Transparenz für die eigene Karriereplanung. Sie sind wählerisch, wollen hinter die geschmückten Kulissen, hinter die schöngefärbten Fassaden blicken. Sie sind kritischer geworden, weil sie oft genug auf die Kosmetikprogramme der typischen Employer-Branding-Aktivitäten hereingefallen sind. Ihr Ziel ist nicht weniger als ein „Perfect Match“ – die maximale Sicherheit, dass ihr Erwartungsprofil mit dem Anforderungsprofil der Stelle so weit wie nur möglich übereinstimmt. Ohne eine strahlende, aufmerksamkeitsstarke und zugleich fundierte Arbeitgebermarke erreicht man diese Kandidaten nicht.
Präsenz und Relevanz sind die entscheidenden Faktoren. Beides muss Hand in Hand gehen. Dabei geht es um mehr als aufwendig erstellte Karriereportale, Versprechungen in Stellenanzeigen oder ein aufsehenerregendes Employer-Branding-Programm. Es geht zunächst um eine Frage der Haltung, des Selbstverständnisses, mit dem man sich der Herausforderung des „New Work in Healthcare“ nähert. Dazu braucht es Game Changer in den HR-Abteilungen – mutige Strategen und zupackende Umsetzer, die sich trauen, wirklich neue Wege zu gehen. Neben den Häusern, die per se eine hohe Anziehungskraft haben, werden Arbeitgeber mit hoher Präsenz in der analogen und digitalen Welt, mit einem hohen Anspruch an die eigenen Rekrutierungsinstrumente und -prozesse und einem authentischen NewWork-Ansatz punkten. Potenzielle Bewerber erwarten einen hochprofessionellen und schnellen Rekrutierungsprozess. Für jeden Bewerber ist die Qualität dieses Prozesses der erste Praxisabgleich zwischen Marketingversprechen und Realität.
Rekrutierung endet nicht mit der Unterschrift unter dem Vertrag, sondern mit der Beendigung der Probezeit, deshalb legen attraktive Kliniken größten Wert auf einen umfassenden Onboarding-Prozess. Spätestens hier wird deutlich, wie wichtig die enge Verzahnung von HR- und Ärzte-Team ist. Was bleibt von der blumigen Versprechung „New Work“ in der Praxis? Als Personalmanager werden Sie mit Stichworten wie „flexible Arbeitszeit“, „preiswerter Wohnraum“, „digitalisierte Prozesse“, „Team- und Projektarbeit“, „effiziente Einbindung ergänzender Berufsbilder“ konfrontiert werden. Und Sie sollten in der Lage sein, darauf adäquat zu antworten. Lernen Sie also Ihre Zielgruppe kennen! Nur wer weiß, wie die Bewerber ticken, wird sie überzeugen können.
Viele HR-Verantwortliche werden dafür über ihren Schatten springen, ihre Arbeit und ihre Rolle ein Stück weit neu erfinden müssen: neue Spielregeln definieren, innovative Technologien nutzen und Experimente zulassen. Noch nicht dagewesene Verfahren sind gefordert, um eine Bewerberzielgruppe zu erreichen, die möglichst lange anonym bleiben und zugleich im Prozessunterhalten werden will, hohe Ansprüche hat und realistische Einblicke fordert. Was es braucht, sind HR-Verantwortliche, die nicht jammern, sondern handeln. Gerade diese schwierigen Tage zeigen: Längst ist es Zeit, neue, unkonventionelle Wege im Recruiting zu gehen. Die alten haben zu Frustration und hohen Kosten geführt – und in die Personalkrise, die wir aktuell so dramatisch erleben.
Quelle | Artikel veröffentlicht in: Personalwirtschaft das Magazin für den Job HR
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